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7. Woche
Am nächsten Morgen
schmerzen mir alle Knochen. Doch Lhasa ruft und so brechen wir mittags
zum Manasarowar See auf. Vorher heißt es noch Abschied nehmen vom
Swami und den Schweizern, die ihr Glück mit Trampen versuchen
müssen. Von Darchen aus gibt es keine Busse und nur wenige
Lastwagen in Richtung Osten. Diese fahren von Ali auf der besseren
Nordroute 500 km weiter nördlich nach Lhasa. Zum See sind es 50 km
über einige sehr steile Hügel, aber ein kräftiger Wind
schiebt uns durch ein wildes Schneetreiben voran. Nur eine sehr tiefe
Bachdurchquerung sorgt für Überraschungen, als mein schwer
bepacktes Rad von der Strömung mitgerissen wird. Aus dem Nichts
taucht ein berittener Tibeter auf, der Rad und Gepäck rettet.
Selten war ich über helfende Hände so froh. Am Seeufer finden
wir in einem leerstehenden indischen Pilgerheim Unterkunft. Bei
Nachttemperaturen unter -10°C eine angenehme Überraschung. Im
klaren Licht des nächsten Morgens bekommen wir den Mount Kailash
das erste Mal zu sehen. Bisher versperrten uns Schneewolken die Sicht
auf den heiligen Berg.
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Unser erster Blick auf den Kailash
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Figuren auf dem Dach des Klosters
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Vom Seeufer geht es auf
der Ladefläche eines Baustellen LKW zurück zur 219 und weiter
in Richtung Osten. Auf dieser werden wir haltlos zwischen
Ölfässern hin- und hergeworfen und haben nach einer Stunde
zahllose blaue Flecken, so dass wir uns entscheiden weiterzuradeln.
Nach zwei Tagen haben wir wieder Glück und werden von einem
Lastwagen mitgenommen, der Ausrüstung für eine
deutsch-österreichisch Gruppe geladen hat. Abends werden wir an
einem wunderschönen See zum Essen eingeladen. Wir sind über
Gastfreundschaft und das wunderbare Essen erstaunt, eine angenehme
Abwechslung in unserer Küche, die meist aus Milchreis mit Rosinen
und Nüssen besteht. Die chinesischen Instantnudelsuppen
verträgt mein Magen nicht.
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Morgenlicht am Oberlauf des Tsangpo, der 2500 km weiter als Brahmaputra in den Ganges mündet
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Am nächsten Abend erreichen wir Sage,
die erste größere Stadt seit Ali zwei Wochen zuvor. Hier gibt es ein
Hotel mit fließendem Wasser und ein Internetcafé in einem Hinterhof.
Nach einem Ruhetag geht es weiter über hügelige Pisten zwischen 4500
und 5000 m in Richtung Raka. Dort trifft die Nordroute auf die 219, so
dass wir auf eine Mitfahrgelegenheit auf einem LKW hoffen.
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Route 219 bei Raka (5100 m)
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In Raka ist ein Kontrollposten. Aus Furcht vor den
chinesischen Behörden will uns davor kein LKW Fahrer mitnehmen.
Danach auch nicht, erst 40 Kilometer weiter haben wir Glück und
werden von einem alten LKW mitgenommen. Bei Einbruch der Dunkelheit
treffen wir in Lhatse ein. Die Stadt liegt am Friendship Highway
zwischen Lhasa und Kathmandu. Einer bei Radfahrern recht beliebten
Strecke. Die meisten fahren mit organisierten Touren mit
Gepäckshuttle, Koch und Gemeinschaftszelt. Am nächsten Morgen
nehmen wir den ersten Bus nach Shigatse, der zweitgrößten
Stadt Tibets. Das Land rechts und links der Straße ist im
Vergleich zu Westtibet überraschend dicht besiedelt. Durch die
relativ niedrige Höhe zwischen 3500 und 3800 m und den
sommerlichen Monsunregen wird hier Gerste angebaut. Es ist gerade
Erntezeit und viel Leben auf den Feldern und in den Ortschaften.
Traktoren oder Mähdrescher gibt es keine in Tibet, die Ernte ist
noch reine Handarbeit. Die Gerste wird auf Eseln abtransportiert und im
Dorf durch im Kreis laufende Esel gedroschen, im nächsten Schritt
werden Halme und Gerste hochgeworfen und der stete Wind trennt die
Gerste von der Spreu. Aus der gemahlenen Gerste wird Tsampa gemacht.
Neben Milchreis und Nudelsuppen unsere Hauptspeise unterwegs.
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Tibetisches Dorf während der Erntezeit
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8. Woche
Die Hauptattraktion Shigatses
ist die Klosterstadt Tashilhunpo, die größte und am besten
erhaltene Tempelanlage in Tibet. Die Klosterstadt wird von einer
kilometerlangen Mauer umgeben, an der sich Gebetstrommel an
Gebetstrommel reiht. Im Abendlicht gehen wir lange durch die
Klosterstadt, fasziniert von der Pracht der Bauten, der Buddhastatuen
und dem Leben der Mönche am Sitz des Panchen Lama. In stiller
Andacht beobachten wir über hundert Jungmönche beim
Abendgebet und folgen danach im Uhrzeigersinn der Kora um Tashilhunpo.
Abends genießen wir gutes chinesisches Essen und die erste warme
Dusche seit Kashgar vor fünf Wochen.
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Jungmönche in Tashilunpo
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Gebetsmühlen rund um Tashilunpo
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Pilgerinnen auf der Kora
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Altes Stadttor in Lhasa
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Potala Palast in Lhasa
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Am nächsten Morgen
laden wir die Fahrräder auf einen Bus und fahren in acht Stunden
über holprige Pisten und steile Pässe nach Lhasa, die
Hauptstrecke ist wegen Bauarbeiten gesperrt. In Lhasa bekommen wir das
letzte freie Zimmer im Yak Hotel und gehen in einem schicken Restaurant
gegenüber Pizza Essen. Der Kontrast zum ländlichen Tibet ist
überwältigend. Besonders jetzt im Herbst, wenn die Erntezeit
vorbei ist, sind Lhasa und Johkang Ziel unzähliger tibetischer
Pilger. Trotzdem ist die heilige Stadt in den letzten fünfzig
Jahren unübersehbar eine chinesische Stadt geworden. Die Altstadt
wurde durch breite Straßen mit gläsernen Fassaden
zerschnitten. Auf den Plätzen um den Jokhang und vor dem Potala
wurden Häuser niedergerissen und auf den Dächern wurden
Überwachungskameras installiert. Der Potala ist ein leerstehendes
Museum, durch das Touristengruppen aus China und aus dem Westen
für 10 Euro Eintritt geführt werden. Pilger sucht man im
riesigen leerstehenden Palast des Dalai Lama vergeblich. Das geistige
und lebendige Zentrum der Tibeter ist der Jokhang, ein
vierstöckiger Tempel, den jeder Tibeter einmal im Leben umrundet
haben sollte. Hier kann man die Pilger aus allen Teilen Tibets bei den
Niederwerfungen beobachten und sich im Strom durch Säle mit hohen
Buddhastatuen und unzähligen Butterlampen treiben oder vom Dach
mit den goldverzierten Zylindern den Blick über Lhasa schweifen
lassen. Dennoch verbringen wir die meiste Zeit mit Essen, Waschen,
Lesen und Ausruhen.
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Gläubige vor dem Johkang Tempel in Lhasa
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Zwei Bettelmönche
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9. Woche
Wolfram hat noch nicht genug
vom Radfahren und bricht nach drei Tagen alleine zum Everest Basislager
auf. Ich lasse mir noch zwei weitere Tage Zeit, Lhasa zu erkunden und
breche mit Talu aus Südkorea und Dirk aus Hamburg in einem alten
Landcruiser mit tibetischem Fahrer in Richtung Nepal auf.
Auf der geteerten Straße
geht es bis zur Großbaustelle in Richtung Shigatse. Hier
verlassen wir das fruchtbare Tal und fahren über einen namenlosen
Pass zum heiligen See Yamdrok. Der See liegt 4488 m über dem
Meeresspiegel. Am Ufer liegen zwei große Schiffe der chinesischen
Fischereiflotte.
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Yamdrok See
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Der Fischfang wird von den Tibetern
verachtet, ihnen sind die Gewässer des Sees und seine Bewohner heilig.
Weiter geht es am Seeufer entlang über einen Pass in das fruchtbare Tal
von Gyantse. Die Stadt besitzt die größte Stupa Tibets. Wir sind am
frühen Morgen die ersten Besucher und können in Ruhe alle acht Etagen
anschauen und den Blick über Stadt und Umgebung geniessen. Allein die
ewigen "no foto" Kommentare der Wächter zehren an meinen Nerven.
Den
nächsten Abend verbringen wir in Shigatse, das ich ja schon kannte.
Meine beiden Begleiter waren nicht am Kloster Tashilunpo interessiert,
so dass wir am folgenden Tag schon mittags zum Rongpu Kloster
weiterfahren. Nach Lhatse verlassen wir den Friendship Highway und
fahren über den Gyatsu La Pass (5256 m). Auf der Passhöhe hat man einen
überwältigenden Ausblick auf den Himalayahauptkamm mit fünf
Achttausendern (Mt. Everest, Lhotse, Makalu, Cho Oyu und Sisha Pangma).
Der Gipfel des Mt. Everest überragt alle anderen und eine imposante
Schneefahne ziert seine Nordflanke.
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Mt. Everest vom Rongpu Kloster
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Abends baue ich mein Zelt vor dem
Rongpu Kloster im Windschatten einer niedrigen Mauer auf. Ende Oktober
fallen die Nachttemperaturen unter -20°C. Im Basislager 7,5 km weiter
talaufwärts sind die Flussarme selbst tagsüber zugefroren. Sonst ist es
hier recht trostlos, windig und kalt, mit sehr dünner Luft. Aber die
Aussicht auf die riesige 3,5 km hohe Nordflanke des höchsten Berges der
Erde entschädigt für alle Mühen.
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Rückweg vom Everest Basislager
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Am nächsten Tag
fahren wir im über eine ganz miserable Piste 70 km in vier Stunden
nach Tingri am Friendship Highway. Von dort geht es einen Tag
später über einen Doppelpass (Lalung La 4950 m und Tong La
5120 m) nach Nyalam (tibetisch für "Das Tor zur Hölle").
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Shisha Pagma (8021 m)
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Hinter Nyalam steige ich wieder
aufs Rad und fahre von 3800 m über den sehr holprigen Friendship
Highway mit scharfkantigen Steinen und immer grüner werdende Hänge in
Richtung Nepal hinab. Mit jedem Meter tiefer wird die Luft wärmer und
feuchter. Auf einmal sind Bäche neben und über der Straße. Es gibt
Blumen, Bäume und Schmetterlinge. Das Zirpen von Grillen habe ich seit
Pakistan vor sieben Wochen nicht gehört.
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Friendship Highway Downhill ins Paradies
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In Kadori befindet sich die
Grenzbrücke, der Bach unter mir ist inzwischen ein reißendes
Wildwasser. Die nepalesischen Einreiseformalitäten sind in zehn
Minuten erledigt und ich halte ein Visum für 60 Tage in den
Händen. Es sind viele fremd aussehende Menschen auf der
Straße, aber sie erschienen mir soviel freundlicher und
aufgeschlossener als die Tibeter und die Chinesen. Die Piste wird nicht
viel besser, trotzdem fahre ich voll, mit 50 km/h durch
Schlaglöcher, über Steine und durch Bachläufe. Egal. Es
ist erstaunlich was mein Germans alles aushält. Um 5 Uhr der erste
Platten nach 2500 km. Am Hinterrad ist das Ventil in einem 50 cm
großen und sehr tiefen Schlagloch abgerissen. Während ich
den Schlauch austausche, hält ein neuer Geländewagen und
bietet mir die Mitfahrt nach Kathmandu an. Eigentlich schade um die
schöne Strecke entlang des Bhoti Kosi auf der guten
Teerstraße. Aber die Stadt ruft, und ich habe keine nepalesischen
Rupien. So komme ich in drei Stunden nach Kathmandu. Aufgehalten haben
uns nur die Strassensperren der Maoisten und der regulären
nepalesischen Armee. Aber alle verhalten sich ruhig, so dass ich keine
Zwischenfälle sehe.
In der Millionenstadt quartiere
ich mich im Touristenviertel Thamel ein. Am ersten Abend dusche ich
natürlich ausgiebig und gehe groß Essen. Was für ein
Fest der Sinne nach Monaten der Magerkost in Tibet. Auf dem
Rückweg zum Hotel kaufe ich Mars Riegel und den Lonley Planet
Führer Nepal mit der Kreditkarte. Wie weit bin ich innerhalb eines
Tages gekommen? Ich kann kaum glauben, dass Tingri und Kathmandu nur
3000 m Höhenunterschied und 100 km Piste trennen.
Wolfram kommt zwei Tage später nach, er ist die gesamte Strecke
Lhatse - Everest Basislager - Kathmandu in sechs Tagen gefahren. Bis
zum Heimflug bleiben uns noch fünf Tage in Nepal, die
ausgefüllt sind mit Ausschlafen, fünfmal am Tag Essen gehen,
Sightseeing, Shoppen und Paddeln auf dem Bhoti Kosi.
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Swayambhunath Stupa in Kathmandu
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