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2. Woche

Auf der anderen Seite der Grenze ist die Landschaft völlig verändert. Statt tief eingeschnittener Täler und grüner Oasen, befinden wir uns auf einer kargen Hochebene über 4000 m, in der Tadschiken und Kirgisen als Nomaden von der Viehzucht leben. 


Pamir

Han Chinesen trifft man hier nur als strafversetzte Mitglieder der Roten Armee, 7000 km von Beijing entfernt. Tashkurgan ist eine typische chinesische Retortenstadt mit zwei breiten betonierten Straßen und den Einrichtungen, die eine Garnisonsstadt braucht: Hotels, Restaurants, Spielhallen und Freudenhäuser. Der Internetzugriff ist auf chinesische Seiten begrenzt. Willkommen im neuen China.


Orientierung auf chinesisch

Von hier führt die Straße nach Kashgar über einen 4078 m hohen Pass mit überwältigenden Ausblicken auf die Eisriesen Mustagh Ata (7538 m) und Kongur (7782 m) zu den Karakul Seen. Auf der Abfahrt spüren wir zum ersten Mal den Wind der Wüste. Trotz 8% Gefälle müssen wir mit aller Kraft in die Pedale treten, um gegen den Sturm 20 km/h zu erreichen. Am Seeufer finden wir einen traumhaften, windstillen Übernachtungsplatz.


Karakul See und Mustagh Ata (7538 m)


...muss ich jetzt wirklich schon aufstehen?


Nach einer kalten Nacht geht es von den grünen Wiesen am Seeufer durch einen wilden Schneesturm 2500 m bergab in die Taklamakan Wüste. Die Straße ist in perfektem Zustand und es herrscht wenig bis gar kein Verkehr. Radfahrerherz, was begehrst Du mehr? 


Rote Berge am Nordrand des Pamir


In der Taklamakan führt die Straße durch zahlreiche Flussoasen, Pappeln spenden Schatten und am Straßenrand verkaufen Uiguren Wassermelonen. Eine Wohltat bei inzwischen 40° im Schatten. Wo wir anhalten, scharen sich Trauben von Uiguren um uns, die neugierig unsere Ausrüstung begutachten und über die Vorteile von Klickpedalen und Ortliebtaschen aufgeklärt werden wollen.

Nie vergessen werde ich den Einführungskurs "Nudelsuppe mit Stäbchen essen" eines alten Uiguren. Auch das geht mit der nötigen Übung und dem entsprechenden Hunger. So ist es nur noch eine heiße Tagesreise bis nach Kashgar, der alten Karawanenstadt an der Seidenstraße. Auch hier wird man zuerst von den Errungenschaften des neuen China begrüßt. Breite Straßen, viel Verkehr, tausend grüne VW Santana Einheitstaxis, Shoppingcenter und Leben auf der Straße. Das alte Kashgar der Uiguren, Händler und Muslime ist auch noch zu finden, wird jedoch mehr und mehr verdrängt. Aber zuerst beziehen wir unser Zimmer im Hotel Sherman, genießen das gute Essen und die Breitbandanbindung in der Hotellobby, um mit denen zu Hause Kontakt aufzunehmen.


3. Woche

Kashgar vor der Moschee auf dem Weg zum Freitagsgebet

Barbiere auf dem Sonntagsmarkt

Ziegenmarkt

Nach fünf Tagen in Kashgar und dem überwältigenden Sonntagsmarkt geht es auf der Südroute der Seidenstraße am Rand der Taklamakan in Richtung Osten nach Khargilik. Zwei Tage lang zieht sich die Südliche Seidenstraße über 280 km relativ einfach und eben dahin. Leider herrscht viel Verkehr und tagsüber steigen die Temperaturen schnell auf 40°C und mehr. So machen wir viele Pausen im Schatten der Pappeln am Straßenrand und essen Melonen. 5 km nach Khargilik beginnt die chinesische Straße 219, die uns 2500 km über die Kunlun Berge, das Aksai Chin Plateau, hohe Pässe, die Ebenen Westtibets, Ali, vorbei am heiligen Berg Kailash und sandige Hochebenen nach Lhasa führen soll.

Route 219 bergauf

Anfangs geht es bei 42°C im Schatten (welcher Schatten?) stetig 3% bergauf. Es gibt interessantere Strecken mit dem Rad. Nach 30 km machen wir Pause im Schatten einer kleinen Mauer. Laut Roadbook ist es eine Zufahrt zu einer Militärbasis. Wir träumen von kühlem Wasser, frischem Obst und einem Schwimmbad. Nach 10 Minuten kommt ein Motorradfahrer vorbei und fragt, ob wir etwas zu Essen möchten. Ungläubig folgen wir ihm in die Anlage. Statt eines Armeelagers erwartet uns eine Sommerfrische für hohe Parteimitglieder. Die Besatzung langweilt sich. So werden wir mit frischem Obst, Straußeneiern und einem großen Schwimmbad überrascht. Nach drei Stunden im Wasser und unter schattigen Rebenlauben machen wir uns vollgefressen auf den Weiterweg. Abends kommt aus der Wüste Rückenwind auf, so dass der Tag sehr vergnüglich und mit einem überraschend hohen Kilometerschnitt endet.



unerwartetes Schwimmbad 

Pause in der Rebenlaube

Ziegenabtrieb in den Kunlun Bergen

Mitten in der Nacht rebelliert schlagartig mein Magen, ich flüchte aus dem Zelt 100 m in die Wüste und muss mich sofort übergeben. Na klasse, warum muss mir das am Anfang der Tour passieren? Am nächsten Tag bin ich entsprechend schlapp unterwegs, aber mir geht es besser als Wolfram, der sich erst einen Abend später von der verdorbenem Nudelsuppe trennt. Zum Glück sollte dies unser einziges Magenproblem bis Kathmandu bleiben.

Pedimente in den Kunlun Bergen

Am nächsten Tag kommt das unvermeidliche Ende des Teers. Von hier bis kurz vor Lhasa sind nur 100 km geteert. Pisten kenne ich schon aus Afrika und Südamerika, aber die Route 219 stellt alles in den Schatten, was ich bisher gesehen habe. Zuerst einmal wegen der Länge, der Höhe, der Abgeschiedenheit und dann - der Belag. Keine Steigung ist über 10%, mehr schaffen die LKW der Marke Dongfeng (Ostwind) nicht. Aber sie hinterlassen Wellblech, Schlaglöcher, Steine und tiefe Sandpassagen.

Abfahrt vom ersten Pass, die Achttausender des Karakorum im Hintergrund

Und es geht weiter bergauf. Am zweiten Tag erreichen wir den ersten Pass (3270 m), von hier geht es in wilder Fahrt bergab auf 2500 m. Die nächste Ortschaft Kudi hat einen Kontrollposten des Militärs. Wir entscheiden uns für die sichere Variante und durchqueren diesen im Schutz der Dunkelheit morgens um 5 Uhr. Bemerkt werden wir nur von streunenden, kläffenden Kötern. Nach der Ortschaft geht es weiter bergauf. Die folgende Nacht verbringen wir unterhalb der Straße auf 4100 m. Der LKW Strom lässt die ganze Nacht nicht nach. Nach dem hundertsten LKW schlafe ich endlich ein. Am nächsten Morgen sehen wir warum: an einer Baustelle wird die Straße wegen Teerarbeiten für eine Woche gesperrt. In der nächsten Woche haben wir die Strecke für uns allein. Der lokale Verkehr beschränkt sich auf zwei bis drei LKW pro Tag. Radfahrerherz, was willst Du mehr?

Mazar

Der Tag führt uns über den ersten 4999 m hohen Pass, unvergesslich die wilde Abfahrt mit schwer beladenen Rädern durch tiefen Schotter mit 60 km/h und mehr. Umso größer der Schreck, als wir feststellen, dass die Brücken nur aus 20 cm breiten nebeneinander liegenden Betonbohlen bestehen, zwischen denen 10 - 20 cm breite Spalten sind. Abends übernachten wir in Mazar bei einer hübschen Chinesin, die einen Imbiss für LKW Fahrer betreibt. Was sie aus Nanking in diese Einöde verschlagen hat, können wir nur erahnen. Es wird wohl mit der chinesischen Einkindpolitik zusammenhängen. Obwohl der Ort auf den meisten Karten verzeichnet ist, besteht er nur aus 15 Hütten, dem Haus der Straßenarbeiterkolonne und einer Kaserne.



eine der vielen Bachdurchquerungen



Auf der 219 in den Kunlun Bergen

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